Jaron Lanier im BASE_camp Berlin: Persönliche Daten als Wert begreifen

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Als skeptischen Optimist bezeichnete Moderator Mathias Müller von Blumcron (FAZ) den Buchautor, Musiker und Kritiker großer Internet-Konzerne Jaron Lanier. In zahlreichen Veröffentlichungen fordert er die Menschen auf, den Wert ihrer persönlichen Daten zu erkennen und entsprechend umsichtig damit zu handeln. Am gestrigen Dienstag Abend, 9. Juni 2015, sprach er dazu im BASE_camp in Berlin – eine Rückblende.

Digitales & Diverses

In der Veranstalungsreihe „Digital Masterminds“ begrüßte Gastgeber Telefónica am Dienstag Abend Jaron Lanier, einen der bekanntesten Kritiker großer Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Amazon. In einem kurzen Vortrag präsentierte Lanier seine These vom Versagen der Schwarmintelligenz und diskutierte anschließend mit den Gästen die Auswirkungen, Gefahren und Chancen der Digitalisierung.

Jaron Lanier

Geheimdienste sammeln weniger Daten als Google & Co.

Als schizophren beschreibt Lanier die aktuelle Situation: Die User beschweren sich einerseits über die Sammlung ihrer Daten durch (kontrollierte) staatliche oder regierungsnahe Stellen, werfen aber auf der anderen Seite den vergleichsweise schlecht kontrollierten Internetgrößen wie Google, Amazon und Facebook viel mehr private Daten hinterher – freiwillig. …aber zurück zum gestrigen Abend und dem Besuch von Jaron Lanier:

Mit einfachen Benutzeroberflächen und mit Begriffen wie „sharing“ und „relevanten Suchergebnissen“ gelingt es besonders den drei genannten Unternehmen, tiefe Einblicke in das Sozialleben ihrer Nutzer zu erhalten:

    • Eigene Bedürfnisse, die manchmal nicht einmal der Partner kennt.

 

    • Beziehungsgeflechte zu Freunden und Familie, die einem selbst als Nutzer gar nicht in dem Ausmaß bewusst sind, wie es die Art und Häufigkeit der geteilten Inhalte verrät.

 

  • Fotos privater Momente, unserer Kinder, Freunde und Kollegen, an die man früher nur durch den Raub eines Fotoalbums herankam – und nicht viel damit anfangen konnte.

Die User selbst bereiten ihre digitalen Daten in der digitalen Welt auf, verschlagworten sie per #Hashtag und stellen sie den großen Plattformbetreibern freiwillig und unentgeltlich zur Verfügung. Sie treten ihr Recht daran mit ihrem „ja“ zu den Nutzungsbedingungen ab.

Digital Masterminds

Lanier: „Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.“

An diesem Punkt setzt Jaron Laniers Kritik auch mit seinem aktuellen Buch an: Wem gehört die Zukunft?: „Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.“. Er habe prinzipiell nichts gegen Facebook oder Google oder Amazon. Aber er habe etwas dagegen, dass sich die Menschen ihnen freiwillig und unentgeltlich ausliefern, ihre Handlungsoptionen von den Konzern-Algorithmen vorfiltern und priorisieren lassen.

Das Gefährliche und Unwägbare sieht Lanier darin, dass diese großen Internetkonzerne fast ausschließlich ganz wenigen Menschen gehören. Facebook gehört einem Mann: Er nennt keinen Namen. Dieser könne im Prinzip entscheiden, wessen Nachrichten man eher sieht: die des Partners oder die des Nachbarn. Facebook-Algorithmen sortieren vor, was der Nutzer sieht. Und das, was Nutzer nicht mehr sehen, verliert an Bedeutung, ist für sie nicht mehr relevant. Vor allem, da die Nutzer bequem seien und sich an diesen Nachrichten und Empfehlungen orientieren.

Soziale Netzwerke nehmen Einfluss auf das Userverhalten

Im Vergleich zur Werbung, die laut Lanier eine Art harmloser Überredungskunst ist, nehmen die sozialen Netzwerke seiner Meinung nach Einfluss auf das Userverhalten. Ich versuche Laniers Argumentation mal in ein Bild zu fassen:
Automarke X preist in seiner Werbung Modell Y an und verteilt die Werbebotschaft in alle Kanäle. Das ist der harmlose Fall: Ich kann mir das ansehen und entscheiden: Gefällt mir das? Brauche ich das? Will ich das? Schließlich finde ich auch noch andere Werbungen anderer Hersteller und kann vergleichen und entscheiden.
Jaron Lanier
Google und Facebook arbeiten anders: Sie kennen ihre Nutzer. Sie erfahren (von ihnen selbst) dass man gerade ein Auto sucht und schlagen daraufhin Modelle vor. Sie zeigen die „passendsten“, die „relevantesten“ Modelle an. Und diese Relevanz ist das Ergebnis der im Hintergrund laufenden Algorithmen, die die Daten analysieren, die die Nutzer vorher dem Unternehmen über ihre Posts und Suchanfragen geschenkt haben. Es werden Optionen weg gelassen. Die Ergebnisse werden priorisiert und damit steigt laut Lanier die Wahrscheinlichkeit, dass die Nutzer sich nach dieser beschränkten Auswahl richten – sich also von den Vorschlägen beeinflussen lassen.

Klingt plausibel. Ist das nun schlimm?

Die Nutzer sind von der Informationsflut überfordert. Sie sehnen sich nach Empfehlungen. Gut, wenn diese von Freunden kommen – dazu gibt es genügend sozialwissenschaftliche Studien. Ist es weniger gut, wenn sie von Unternehmen kommen, die uns (dank unserer eigenen Daten) sehr gut kennen? Zuerst denke ich: nein, empfinde ich nicht als schlimm. Dann denke ich an ein weiteres Argument von Lanier: Was, wenn diese Empfehlungen manipuliert werden? Wie neutral sind diese Empfehlungen? Was, wenn das Unternehmen ein eigenes Interesse hat, dass ich Modell 1 kaufe statt Modell 2? Ist das Ergebnis dann noch neutral?

Ausweg laut Jaron Lanier: Abhängigkeiten reduzieren, Daten kostenpflichtig machen

Für die Nutzer sieht Jaron Lanier an diesem Abend im BASE_camp zwei klare Wege:

    • Nutzer müssten für die Herausgabe ihrer Daten entschädigt werden | Wenn sie ihre Daten nur gegen Geld aus der Hand geben, wirken andere Mechanismen. Sie gingen bewusster damit um. Auch die Konzerne würden mit diesem – dann teuren – Gut anders umgehen als mit kostenfreien Informationen.

 

  • Alternativen ausprobieren | Den eigenen Schweinehund überwinden und neue Services ausprobieren. Warum alles in eine Hand legen? Warum müssen es überhaupt gewinnorientierte Firmen und Dienste sein? Der Nutzer hat die Wahl!

Jaron Lanier weist auf Probleme hin, die Macht zur Veränderung liegt beim Nutzer

In der Fragerunde nach seinem Vortrag erzählt Lanier, dass es in der Geschichte kaum ein Beispiel für extrem konzentrierte Machtpositionen gebe, die nicht irgendwann zum Problem geworden sind. Wo sich an einer zentralen Stelle Macht und Geld konzentrieren, tue der User als Kunde – und erst recht als Produkt und Datenquelle – gut daran, wachsam zu bleiben. So angenehm es auch sein mag, die Augen zu verschließen und blind zu vertrauen. Information ist Macht. Und zu viel Macht an einer Stelle birgt immer auch Risiken. Macht schafft Neider, Daten schaffen Begehrlichkeiten.

Eine einfache Lösung für das Problem ist mal wieder schwierig. Jaron ist der Meinung, das Verhalten würde sich ändern, sobald persönliche Daten vergütet bzw. kostenpflichtig werden. Prekär wird die Situation wohl dann, wenn die Nutzer nur noch das sehen wollen, was Facebook, Amazon und Google ihnen zeigen. Wenn sie zu faul werden, neue Dinge auszuprobieren, andere Informationsquellen zu suchen. Das dumme daran: der Weg ist nicht so schön bequem – es ist einfacher, Dinge vorgeschlagen zu bekommen, als selbst nach Relevantem in der Informationsflut zu suchen.

Er sei Optimist, sagte Lanier mehrfach an diesem Abend in Berlin. Und: „Before you can share yourself, you have to be someone“ – Schwarmintelligenz funktioniere laut ihm nur dann, wenn die Nutzer ihre eigene Individualität behalten. Ich meine: Solange wir unsere Entscheidungsfindung nicht allein auf die Optionen stützen, die die Algorithmen der Netzwerke uns liefern, besteht Hoffnung 😉

Fotos: Holger Rings